Umar Kremlev, Präsident des Internationalen Boxverbandes (AIBA). Foto: Alexander Zemlianichenko/AP/dpa
AIBA-Präsident
Umar Kremlev, Präsident des Internationalen Boxverbandes (AIBA). Foto: Alexander Zemlianichenko/AP/dpa
Boxweltverband

Kremlew setzt IOC unter Druck: Ex-Rocker als Saubermann?

Hamburg (dpa) - Für den Boxweltverband AIBA waren die Weltmeisterschaften in Belgrad vor wenigen Tagen ein rauschendes Fest. Ob das Internationale Olympische Komitee das auch so sieht, ist nicht bekannt.

Noch zürnt das IOC mit der Führung der Faustkämpfer und droht mit dem Rauswurf des Boxens aus dem olympischen Programm. Der tiefe Graben wurde erneut sichtbar, als WM-Ausrichter Serbien der Mannschaft des Kosovo die Einreise verweigerte, weil die Serben die selbstständige Republik nicht anerkennen. Dieser Vorfall, so das IOC, «verstärkt die ernsten Bedenken, die das IOC in Bezug auf die Führung dieses suspendierten internationalen Verbandes hat».

Die olympische Regierung in Lausanne hatte den Boxerverband im Mai 2019 wegen fehlenden Reformwillens, Kampfrichterskandalen und Misswirtschaft suspendiert. Damals war Gafur Rachimow AIBA-Präsident. Dem Usbeken wurde die Organisation von Drogen-Geschäften nachgesagt. In den USA stand er auf der Sanktionsliste des Finanzministeriums, sein Vermögen wurde eingefroren. Rachimow hat immer alles bestritten.

Schuldenlast lähmt die AIBA

Im Frühjahr 2019 zog sich der Usbeke zurück. Fortan übernahm der Marokkaner Mohamed Moustasahne die Geschäfte als Interimspräsident. Die Schuldenlast von bis zu 30 Millionen Dollar, die der Verband unter Ex-Präsident Wu Chin-Kuo aus Taiwan (2006 bis 2017) angehäuft hatte, lähmte die AIBA. Einige Schulden wurden in Sponsorenverträge umgewandelt, 16 Millionen Dollar an Außenständen blieben jedoch. Als der überforderte Moustasahne seinen Stuhl räumte, wurde im Dezember 2020 der Russe Umar Kremlew an die Spitze gewählt.

«Ich bin sauber. Ich habe nichts zu verbergen», schwört Kremlew, der seit Ende 2018 zum Führungszirkel der AIBA gehört. Bestechungen von Kampfrichtern und Manipulationen von Urteilen sind ihm nicht anzulasten. Das 40 Jahre alte frühere Mitglied des nationalistischen Motorrad-Rockerclubs Nachtwölfe hat die nationalen Boxverbände nach anfänglicher Zurückhaltung für sich gewonnen. «Die AIBA ist auf dem richtigen Weg. Wir werden der ehrlichste, sauberste und transparenteste Sportverband», behauptet er im ZDF.

Als Hauptsponsor holte Kremlew Gazprom ins Boot. Seither ist die AIBA schuldenfrei. Mehr noch: Erstmals in der WM-Geschichte wurden in Belgrad Siegprämien in Höhe von 2,6 Millionen Dollar gezahlt.

Kremlew krempelt um

Der Russe redet nicht nur über Reformen. Kremlew lädt international anerkannte Fachleute ein und fordert sie auf: Krempelt den Laden um! Das renommierte Wirtschaftsprüfungsunternehmen Pricewaterhouse Cooper durchleuchtet Geschäftstätigkeit und Finanzströme, Chefermittler Richard McLaren bat er, Rechtsbrüche und Skandale zu untersuchen. Zudem beauftragte er den Kanadier, mit seinem Team die Kampfrichter zu überprüfen und verdächtige Kandidaten auszusortieren. Eine neue Satzung entstand unter Mitarbeit des deutschen Rechtswissenschaftlers Ulrich Haas, der auch deren Durchsetzung überwacht.

«Wir haben der AIBA ein Werkzeug gegeben, ihren Verband auf den richtigen Weg zu führen, und es dürfte zudem eine Blaupause für andere Sportarten sein», sagt McLaren. Im Zentrum steht das Kampfrichterwesen. Dass Unparteiische geschmiert und Urteile abgesprochen wurden wie bei Olympia 2016, als am Ende das komplette Team von 36 Kampfrichtern lebenslang gesperrt wurde, brachte das Fass zum Überlaufen. «Wir sind dabei, rigoros aufzuräumen. Bei den Wahlen im nächsten Jahr trennen wir uns von vorbelasteten Personen», sagt DBV-Sportdirektor Michael Müller, der in der AIBA dem Wettkampfkomitee vorsteht.

Zum zweiten Mal nach der WM 2019 gab es in Belgrad die Möglichkeit, Proteste gegen Kampfurteile einzulegen. Ein Gutachter (Evaluator) und ein Beobachter (Observer) prüfen das unabhängig. Hat auch nur einer Zweifel am Urteil, wird der Kampf neu bewertet. In Belgrad kostete ein Protest nichts. Zwei Jahre zuvor waren es 500 Dollar. Bei 590 WM-Kämpfen lag die Protestquote unter zehn Prozent. Bei Olympia in Tokio gab es das Protestrecht nicht. Dort hatte eine sogenannte Task Force des IOC das Boxturnier für die suspendierte AIBA organisiert.

«Wir werden transparent sein»

Kremlew lässt nichts unversucht, dem IOC die Argumente für die Aufrechterhaltung der Suspendierung zu entziehen. «Wir werden transparent sein, am Ende werden keine Fragen offenbleiben», sagt der Russe. Unbehagen im Westen löst jedoch seine Nähe zu Wladimir Putin aus. Russische Medien haben ihm gar eine kriminelle Vergangenheit unterstellt. «Ich empfehle, die Menschen nach ihrem Handeln zu beurteilen und zu fragen: Hält er, was er verspricht?», rät Müller. Was passiert jedoch, wenn Kremlew nicht wiedergewählt wird? Präsentiert dann Gazprom der AIBA einen Schuldschein in Höhe der getilgten Außenstände? «Das wird es nicht geben», meint Müller. «Das Thema ist erledigt.»

Erst wenn die AIBA zurückkehrt unters Olympia-Dach, erhält sie aus dem prallen Vermarktungs- und TV-Topf des IOC ihren Millionen-Anteil. «Es scheint, als gäbe es großes Interesse im IOC, den Boxsport rauszuhalten», sagt DBV-Ehrenpräsident und AIBA-Führungsmitglied Jürgen Kyas. Er vermutet andere Absichten im IOC. Dort braucht man Platz für neue, junge Sportarten, die bestens im TV zu vermarkten sind. Kyas: «Dafür werden Sportarten wie Buckelpistenfahren protegiert, das eine höhere Verletzungsgefahr als Boxen hat.»

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