Jana Leonhardt (l-r), Hendrik Porcher und Kerstin Märker, Notfallsanitäter des Deutschen Roten Kreuzes (DRK), nach einem Einsatz. Foto: Boris Roessler/dpa
100 Jahre DRK
Jana Leonhardt (l-r), Hendrik Porcher und Kerstin Märker, Notfallsanitäter des Deutschen Roten Kreuzes (DRK), nach einem Einsatz. Foto: Boris Roessler/dpa
Hilfsorganisation

100 Jahre DRK: Vom Miteinander geprägt

Idar-Oberstein/Berlin (dpa) - Alarm auf der Rettungswache des Deutschen Roten Kreuzes in Idar-Oberstein: Ein Mann hat den Notruf gewählt, nachdem seine Mutter im Sessel zusammengesackt war. Verdacht auf Schlaganfall.

Für Miriam Görg und ihren Kollegen Jürgen Becker vom Rettungsdienst ist klar: Jetzt geht es um Minuten. Mit Blaulicht und Martinshorn brausen sie im Rettungswagen durch das Zentrum der kleinen Stadt in der Mitte von Rheinland-Pfalz.

So wie Görg und Becker sind jeden Tag Tausende Mitarbeiter des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) deutschlandweit im Einsatz, um anderen zu helfen und Leben zu retten. Mittlerweile ist der DRK-Dachverband 100 Jahre alt, was bei einem - pandemiebedingt nur digitalen - Festakt an diesem Samstag (8.5.) gewürdigt wird. Am 25. Januar 1921 wurde der Dachverband gegründet, auch wenn es schon vorher Rotkreuz-Helfer gab. So war bereits 1863 in Baden-Württemberg die erste Rotkreuz-Gesellschaft ins Leben gerufen worden.

Heutzutage zählt das DRK in Deutschland mit rund drei Millionen Mitgliedern zu den größten Hilfsorganisationen. Gefragt ist es wie selten zuvor: In der Corona-Pandemie fährt das DRK einen der größten Einsätze in seiner Geschichte, um Test- und Impfzentren aufzubauen.

Zu den Kernaufgaben neben dem Rettungsdienst, dem Gesundheitsbereich und dem Katastrophenschutz gehören unter anderem auch die Flüchtlingshilfe und die Wohlfahrts- und Sozialarbeit. Das DRK betreibt Einrichtungen für die Pflege von älteren Menschen, bringt «Essen auf Rädern». Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der DRK-Suchdienst gegründet, der seither nach Vermissten oder Vertriebenen sucht und Millionen Schicksale klären konnte.

In Idar-Oberstein ist der Rettungswagen von Miriam Görg und Jürgen Becker inzwischen am Ziel angekommen, einem dunkel verklinkerten Bungalow. Zügig, doch ohne zu rennen, gehen Görg und Becker zu der Patientin, die nicht sprechen und sich nicht bewegen kann. Nur ihre weit aufgerissenen Augen folgen jeder Bewegung der Retter. Der Sohn der Patientin und ein Bekannter reden beruhigend auf sie ein. Jürgen Becker legt ihr mit einer Nadel einen Venenzugang in den Arm. Der Papagei der Seniorin beginnt in seinem Käfig zu flattern - so viele Menschen stehen offenbar selten im Wohnzimmer des Hauses.

Der Rettungsassistent und die Notfallsanitäterin arbeiten routiniert, messen den Blutdruck, geben der Patientin Sauerstoff, schieben einen Transportstuhl aus dem Rettungswagen über die Orientteppiche des Wohnzimmers. Im Nieselregen bringen sie die Frau schließlich zum Krankenwagen, um sie in die Notaufnahme einer Klinik zu fahren.

Als die Patientin dem Krankenhaus übergeben ist, geht es zurück zur Rettungswache. Dann heißt es Warten auf den nächsten Einsatz, manchmal dauert das lange, was auch zermürbend sein kann. Jeder Tag ist anders, Becker und Görg wissen nie, was sie erwartet.

Lieber ist der 51-jährige Becker - kurze, graue Haare, Dreitagebart - unterwegs als herumzusitzen. «Wenn ich zu lange auf der Couch liege, muss ich ja Miriam rufen, damit sie mich dreht, sonst bekomme ich noch Druckstellen», scherzt der Rettungsassistent. Gerade erst hat Becker seine Jubiläumsurkunde bekommen, seit 30 Jahren ist er im Rettungsdienst, unter anderem auch für die Bundeswehr.

Insgesamt rund 600 000 ehren- und hauptamtliche Helfer sind für das DRK bundesweit im Einsatz. Dazu zählt auch der 30 Jahre alte Kai Falke, der schon fast sein halbes Leben ehrenamtlich beim Deutschen Roten Kreuz tätig ist. «Anfangs war das DRK für mich nur der Rettungsdienst - so nimmt man das ja auch von außen oft wahr», erzählt Falke, der im pfälzischen Bad Dürkheim wohnt. Jedoch umfasse der Grundgedanke der Organisation viel mehr. «Und das ist es, was mich hält.»

Was die Männer und Frauen vom Deutschen Roten Kreuz leisten können, zeigte sich Anfang 2020. Mehr als 120 China-Rückkehrer kamen zur Corona-Quarantäne in eine Bundeswehr-Kaserne in der Pfalz - und Falke war einer der DRK-Helfer, die sich für zwei Wochen mit in die Isolation begaben. «Ich habe das große Glück, dass ich einen Arbeitgeber habe, der mein Engagement unterstützt», erzählt der Ingenieur in einem kleineren Auto-Zulieferbetrieb.

Falke sieht die Schattenseiten, etwa den schwindenden Respekt gegenüber Rettungskräften. «Das ist ein wichtiges Thema, bei dem man genau hinschauen sollte. Aber in Brennpunkten in großen Städten kommt das wohl öfter vor als hier im ländlichen Bereich.»

Insgesamt, glaubt er, könne die Pandemie dem Ehrenamt helfen. «Viele, die vorher nicht daran dachten, helfen jetzt etwa beim Impfen. Das kann Wertschätzung bringen.» Er jedenfalls hoffe, dass die Krise dem Engagement einen Schub verschaffe. «Ich verbinde damit die Hoffnung, dass das Bild in der Öffentlichkeit noch positiver wird.»

Für Rettungsassistent Becker ist das Miteinander im Team genau das, was den Charme des DRK ausmacht. Der Ton untereinander ist freundschaftlich-kumpelhaft, der Humor speziell. In der ländlich geprägten Gegend rund um Idar-Oberstein mit einer vorwiegend älteren Bevölkerung sind die Helfer und Helferinnen des DRK bekannt wie die sprichwörtlichen bunten Hunde.

So anstrengend Dienste auch sein können, der Rettungsassistent hat noch nicht genug. Er will im November die Ergänzungsprüfung zum Notfallsanitäter ablegen. Görg hofft, dass ihr Schichtpartner die Prüfung schafft, schließlich will sie noch möglichst lange mit ihm zusammen arbeiten.

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